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Warm durch die Nacht - Tourbericht 29.01.2016 von Judith

Dadurch, dass wir unser „Flaggschiff“, das Suppenfahrrad heute nicht dabei hatten, dauerte es eine Zeit, bis unsere Leute merkten, dass wir da sind und zunächst waren sie auch enttäuscht, denn eine große Portion Suppe aus dem Fahrrad ist schon was anderes, als eine kleine 5-Minuten-Terrine, die man dann nicht mal sofort essen kann. Aber als wir ihnen die Gründe erklärten, hatten alle Verständnis und waren doch sehr dankbar, dass wir da waren.
K. erklärte: „Dann sagt demnächst Bescheid, dann mach ich das. So schwer kann das mit dem Gas am Fahrrad doch nicht sein!“
 
Eine Dame kam auf uns zu. Sie kannte uns aus der Presse, ist selbst nicht bei Facebook. Nun wollte sie uns Spenden bringen. Sie reichte uns warme Schals, Mützen, Socken, Decken und dann auch Minifrikadellen und half dann gleich noch beim Verpacken kleinerer Portionstütchen.
Maren hatte auch noch mehrere Paar Schuhe mitgebracht und es sollte sich dann später noch herausstellen, wie gut das war. Schon vor dem Nord konnten wir einen jungen Mann mit einem Paar ausstatten. Er hatte in den letzten Wochen mehrmals danach gefragt und nie hatten wir passende.
Umso glücklicher war er jetzt. Eigentlich war der Andrang hier gar nicht so groß, aber die wenigen hatten doch viele Wünsche und einen hohen Gesprächsbedarf, so dass wir doch eine Stunde lang hier verweilten und eine Zeit lang alle Hände voll zu tun hatten.
 
Die junge Frau, um die sich Janita bezüglich einer Wohnung derzeit intensiv bemüht, und ihr Freund kamen dazu und wir konnten ihr den nächsten Termin mit Janita ausrichten. Sie wirkte ein wenig pessimistisch, was die Wohnung betrifft und wir versuchten, ihr Mut zu machen. Es fällt auf, wie zugewandt sie uns ist und wie gut man inzwischen mit ihr reden kann. Dankbar ließ sie sich von uns versorgen und ihr Freund bekam von uns noch eine warme Weste und die schon so lange gewünschte Boxershorts. Nun hoffen wir alle, dass Janita für sie etwas erreichen kann und, dass Janita sich da festbeißt und so schnell nicht aufgibt, das gaben wir den beiden mit
auf den Weg. Etwas erleichterter und optimistischer gingen sie dann.
 
Nachdem nun alle versorgt und viele Gespräche geführt waren, zogen wir weiter zum Nord. Auch hier war längst nicht so ein Andrang, wie sonst.
P. kam und freute sich, uns zu sehen. Dann erzählte er, was ihm zugestoßen war und wir waren wieder mal sehr erschrocken: „Ich hätte mir heute fast den goldenen Schuss gesetzt! Sonst zieh ich meine Drogen ja immer durch die Nase, aber dieses Mal hab ich im Druckraum gespritzt und das war wohl eine Überdosis. Ich bin sofort umgefallen. Zum Glück haben die das da sofort gemerkt und mir geholfen, sonst gäbe es mich jetzt nicht mehr!“ Seinen Zustand merkte man ihm noch an einer
auffallend langsamen Sprechweise an. „Ich warte ja auf einen Termin für die Entgiftung. Das wird jetzt auch Zeit, sonst passiert mir noch was!“ Wir hoffen das Beste für ihn und vor allem, dass er dieses Mal dann auch durchhält.
 
Ein anderer junger Mann erklärte uns mal die Zusammenhänge von Sozialzentrum Maxstraße, der Notübernachtungsstelle Lichtstraße und der Suchthilfe „Die Krise“, die viele von uns bis dahin noch nicht gewusst hatten. Er selbst schläft seit Dezember in der Krise. „Gegen die Lichtstraße ist das da Luxus“ meinte er und erzählte: "Ich hab mal alles gehabt: Wohnung, Job und Verlobte.“ Als diese Beziehung in die Brüche ging, hat er dann wohl den Boden unter den Füßen verloren.
 
Adrian und Maren hatten dann etwas Mühe, einen jungen Mann, der kein Wort Deutsch, nur ein wenig französisch sprach, zu erklären, wie eine Suppenterrine zubereitet wird. Dass er eben 5 Minuten warten muss, bis sie richtig durchgezogen ist, war ihm nicht klar zumachen. So begann er gleich mit dem Essen und spuckte dann die, natürlich noch harten, Nudeln wieder aus, schüttelte den Kopf mit einem empörten Gesichtsausdruck und drückte mir seine Terrine wieder in die Hand, um seiner Wege zu gehen. Wir wiesen ihn dann deutlich daraufhin, dass er sich um die Entsorgung doch bitte selber kümmern möge.
Ein älterer Mann, der ebenfalls kein Deutsch sprach, machte uns auf seine kaputten Schuhe aufmerksam und wir konnten ihm eins von den Paaren geben, die Maren mitgebracht hatte. Er bedankte sich ausgiebig. Da nun auch hier alle versorgt waren, entschlossen wir uns, noch zum Willy-Brandt-Platz zu ziehen.
 
Auf dem Weg dorthin begegnete uns R., der sich dann gleich uns anschloss. Zunächst war an der Post niemand, aber dann kamen sie doch vereinzelt, sodass wir doch noch einige unserer Stammkunden versorgen konnten. Die süßen Gebäckstücke, das Obst und der Joghurt von der Tafel waren eine willkommene Ergänzung zu der doch eher mageren Portion einer Terrine und so bekamen wir alle satt.
 
M. kam auf uns zu, und versuchte, uns mit Händen und Füßen beizubringen, was er brauchte. Ich verstand dann, dass er eine neue Jacke brauchte, da an seiner der Reißverschluss kaputt war. Leider hatten wir keine passende dabei und boten ihm eine wattierte Weste an, die er dann über seine Jacke tragen sollte. Zunächst bemängelte er, dass da ja keine Ärmel dran seien und probierte eine Jacke an, die ihm aber eindeutig zu klein war. Dann hatte er doch ein Einsehen, zog die Weste an und war nun doch froh, den Reißverschluss schließen zu können. Handschuhe und Socken konnten wir ihm ebenfalls geben und nun war er so unendlich dankbar für alles, dass er Handküsse und Wangenküsse verteilte.
 
R., der insgesamt einen sehr gut gelaunten Eindruck machte, ließ dann den Spruch des Abends ab und ich darf ihn zitieren: „Essen packt an!–das ist etwas ganz Seltsames! Sowas gibt es in keiner anderen Stadt. Ein Kuriosum!“ Sicher gäbe es in anderen Städten auch Hilfen für Obdachlose, aber „was ihr hier macht, das ist ja noch viel mehr!“ Dieser Satz ging uns runter wie Honig und war dann im Grunde der krönende Abschluss des Abends.
 
Inzwischen hatte es angefangen zu nieseln und wir waren durchgefroren. Also machten wir uns auf den Rückweg, auf dem wir aber auch noch Einzelne mit Obst, einem Kaffee oder Gebäckstück erfreuen konnten.
Am Ende konnten wir feststellen, dass wir doch ganz gut verteilt hatten: 47 Terrinen, das gesamte Obst und das Gebäck, Joghurt, 3 Paar Schuhe und etliches an warmer Kleidung. Und wir waren froh, dass wir das doch durchgezogen hatten.
 
Ja, vielleicht hat R. recht: auch für uns ist jede Tour ein Kuriosum - voller Ereignisse, Wunder, Ausnahmen. Phänomene, Verblüffung und dadurch auch immer Neugier auf jeden Menschen, der uns begegnet.