Warm durch die Nacht - Tourbericht 20.04.2016 von Judith
war demnach schon hier gewesen.
Schon kurz darauf kamen Ingrid und Famara und das Richten des Fahrrades konnte weiter gehen, da Ingrid ja den Schlüssel für das Fahrrad hat. Die Gasflasche musste ausgetauscht werden und Micha und ich waren heilfroh, dass Famara diese Aufgabe übernahm, haben wir beide doch Mordsrespekt vor diesem Ding, seit wir einmal mit einem undichten Gasanschluss gekämpft hatten. Herzlichen Dank, Famara, dass du uns das abnimmst. Du bist unser Held!
Viola, Fabienne und Bettina kamen noch dazu und so gingen uns die Vorbereitungen schnell von der Hand.
Vor dem Aufbruch wollte ich noch eben ein Foto vom vollen Suppenbehälter schießen und als ich den Deckel abnahm, lief mir das Wasser im Mund zusammen: ein deftiger Gemüseeintopf, einmal quer durch den Gemüsegarten, mit Reis und kräftiger Fleischeinlage. Köstlich! Nun freuten wir uns ganz besonders darauf, unsere Lieben mit diesem leckeren Essen überraschen zu können.
Rouven kam noch dazu, um uns beim Ziehen der Fahrzeuge zu helfen. Und nun ging‘s los.
Die erste Überraschung erlebten wir schon an der Kreuzung: die Bordsteinkanten der Verkehrsinseln sind abgesenkt und neu gemacht worden. Das bringt uns für das Handeln des Suppenfahrrades große Erleichterung. Da hat die Stadt ja echt mal was für uns getan! ;-)
Am Café Nord ging‘s dann gleich los. Alle hatten Hunger und Durst. Bettina übernahm erst mal das Austeilen des Essens, während Micha und Fabienne das heiße Wasser von Abia besorgten und Ingrid nahm das Gebäck von der Bäckerei Gebr. Förster gbr in Empfang, was Micha und Vroni lieferten. Wieder mal eine riesen Spende! Als sie damit zurückkam, packten wir kleinere Portionstütchen ab, um möglichst viele damit versorgen zu können.
Mitten im Gewühl stand plötzlich ein junger Mann vor uns, Amir, ein junger Student aus Damaskus, der als anerkannter Kriegsflüchtling nun seit 11/2 Jahren in Deutschland ist. In fast perfektem Deutsch machte er uns klar, dass er mitarbeiten wolle, um unter Deutschen zu sein und damit die Sprache noch besser zu lernen. Und eher er sich versah, hatte er auch schon die blauen Handschuhe an, gehörte zur „Blueman-group hinter dem Suppenfahrrad“ und teilte die Suppe aus. Nun hatten also tatsächlich auch wir Zuwachs und dass das äußerst wertvoll und wie eine Fügung war, sollte sich im Laufe der Tour noch herausstellen.
Schnell waren wir umringt von hungrigen Leuten.
F. kam und schüttete sein Herz aus, während er sein Essen löffelte. Er muss bald seine Haft antreten und 30 Monate einsitzen in der JVA in Bielefeld. Er habe Angst davor, könne an nichts anderes mehr denken, könne nicht mehr schlafen und habe auch kaum noch Appetit. Und dann plötzlich: „Aber jetzt mal was anderes: Wer hat dieses tolle Essen eigentlich gekocht?“ Ich erzählte ihm, dass das vom Sengelmannshof aus Kettwig käme und eine Spende sei. Darauf er: „Dann tu mir bitte einen Gefallen! Richte diesen Leuten aus, dass das total lecker ist und dass ich mich ganz herzlich dafür bedanke! Sonst mag ich zurzeit eigentlich nicht essen, aber das hier ist richtig klasse!“
Und ähnlich ging es weiter. Alle waren unendlich dankbar, kamen teilweise verschmitzt grinsend mit ihrer leeren Suppenschale noch einmal zum Fahrrad, um noch einen kleinen Nachschlag zu bekommen. Ebenso nahmen sie dankbar Gebäck und die Getränke gingen im Sekundentakt raus.
Schon am Nord war der erste Behälter leer und wurde mit Erbsensuppe aus der Dose neu aufgefüllt, denn wir ahnten, dass wir noch viele versorgen mussten.
Als der Andrang nachließ, zogen wir weiter zur Marktkirche. Genau vor deren Eingang platzierten wir uns auf dem Platz mit dem gesamten Fuhrpark und waren so gar nicht zu übersehen. Und auch hier waren wir im Nu umringt. Die Leute aßen mit Genuss und ließen sich gerne von uns mit einem Kaffee, Kakao oder Tee versorgen.
Schon bald war unser Heißwassergefäß leer und Micha lief noch einmal zum Abia, um es nachfüllen zu lassen.
Unser Philosoph K. hatte uns ab Nord begleitet und genoss unsere Nähe. Er erzählte viel und freute sich, dass man ihm zuhörte. Inzwischen geht er immer fast die gesamte Tour mit und mag sich am Abend gar nicht so recht von uns verabschieden. Ich glaube, am liebsten ginge er sogar noch mit bis nach Hause, um uns weiter seine Gedanken mitteilen zu können. ;-)
U. brauchte eine Jacke und er, der sonst eher unfreundlich ist, freute sich riesig, als wir eine passende für ihn hatten. Er blieb dann noch eine ganze Zeit bei uns. So freundlich und gesprächig hatte ich ihn noch nie erlebt.
Ein weiterer Stammgast bat um Schuhe. Als er das Paar anprobierte, welches wir ihm anboten, stellte sich heraus, dass er beide Füße massiv entzündet hat. Wir legten ihm nahe, sich dringend an das Arztmobil zu wenden, bevor die Entzündung in eine Sepsis ausartet. Er versprach uns, schon am folgenden Tag hinzugehen. Die Schuhe passten und er bedankte sich herzlich.
Und wieder viele neue Gesichter! Ein junger Mann aß bei uns und fragte dann, ob er für seine Freundin, die mit einem Hund etwas abseits stand, wohl auch eine Portion bekommen könnte, sie habe seit Tagen nichts gegessen. Groß war sein Erstaunen, als wir ihm darüber hinaus Brot und Gebäck anboten und auch fragten, ob sie denn ihren Hund versorgen könne. Zunächst skeptisch wegen dieser Frage waren beide dann aber sehr dankbar, als wir auch Hundefutter für sie einpackten. Sie kam dann extra noch einmal zum Bollerwagen, um sich dafür zu bedanken. Sie hatten noch nie von uns gehört und konnten es gar nicht fassen, dass es uns gibt. Sie ließ sich daraufhin von mir die Tourtermine auf einem Zettel notieren, damit wir ihr demnächst wieder helfen können.
Ein weiteres Pärchen stand am Bollerwagen. Schnell wurde klar, dass beide kein Wort Deutsch sprachen und wir vermuteten, dass sie, wie es öfter geschieht, meinten, wir würden etwas verkaufen. Um ihnen zu erklären, was wir tun, wollte Fabienne mit beiden zum Suppenfahrrad, um ihnen dort das Foto eines Wohnungslosen zu zeigen, was wir seit ein paar Tagen am Fahrrad haben. Und dann fügte es sich ideal. Denn wir hatten ja unseren Amir, der die gleiche Sprache spricht und übersetzen konnte. Und dann stellte sich heraus, dass beide in echter Not waren. Ein Betrüger hatte sie mit dem Versprechen, ihnen eine Wohnung in Essen vermitteln zu können von Berlin nach Essen geschleust und ihnen ihr gesamtes Geld dafür abgenommen. Hier angekommen, war von Wohnung und Schleuser keine Spur. Nun hängen sie völlig mittellos und obdachlos hier in Essen fest und da sie bei einem schwebenden Asylverfahren eine Residenzpflicht im jeweiligen Bundesland haben, müssen sie schnellstens zurück nach Berlin. Amir nahm sich ihrer an und ging mit ihnen gemeinsam zur Bahnhofsmission. Dort werden sie heute nochmal vorsprechen und wir hoffen, dass man ihnen helfen kann, denn ihr Schicksal hat uns alle erschüttert und sie gehen uns gar nicht mehr aus dem Kopf.
Aber wie genial, wenn wir jemanden beim Team dabei haben, der in solchen Fällen übersetzen kann! Wir hatten schon häufiger solche Situationen und es werden auch noch oft solche Momente kommen.
Somit wäre es ideal, wenn Amir weiterhin zum Team gehört!
Inzwischen setzten wir die Tour fort zum Willy Brandt Platz und hatten auch dort noch viele Leute, die wir mit allem versorgen konnten, sei es Essen, Getränke, Kleidung und Hygieneartikel.
Und dann waren wir plötzlich ausverkauft. Suppe leer, Heißwasser leer, nur noch wenige Päckchen Brot, die wir auf dem Rückweg noch an einzelne verteilten.
Als Amir von der Bahnhofsmission zurückkam, hatte er Marvin im Schlepptau und beide halfen emsig beim Reinigen des Fahrrades und der Behälter. Tja, Amir und Marvin, so schnell gehört man zum Team!
Am Ende stellten wir fest, dass wir neben zwei vollen Behältern Eintopf vom Sengelmannshof auch noch 13 weitere Dosen Erbsensuppe ausgegeben haben, das macht nahezu 100 Portionen!
Und da wir offensichtlich Zuwachs bei den Bedürftigen haben, brauchen wir diesen auch weiterhin im Team. Amir und Marvin sind schon mal ein Gewinn!
Und wie sieht es aus mit dir?