Warm durch die Nacht - Tourbericht 28.10.2017 von Petra
Mehr als eine Kaffeefahrrad-fahrt
Gegen 15 Uhr habe ich mich aufgemacht zum Lager, um warme Anziehsachen für die Bedürftigen herauszusuchen. Neben Jeanshosen, Pullovern, Schuhen, warmen Fleece- und Strickjacken wanderten natürlich auch dicke, wetterfeste Jacken in unterschiedlichen Größen in mein Auto. Dazu noch ein paar Schlafsäcke und Hygieneartikel und ich konnte direkt durchstarten nach Überruhr zum Haus Reichwein Essen.
Dort nahm ich die leckere Brokkolicremesuppe und einen Eimer Gehacktesbällchen für die Fleischeinlage in Empfang. Markus C kam auch dorthin, sodass wir gemeinsam in die Innenstadt zur Garage fuhren.
Als wir dort ankamen, fing es leider an zu regnen. Wir fingen in der Garage mit den Vorbereitungen an, als die drei Lastenfahrräder vom ADFC Essen mit ihren Fahrern ankamen. Wir verstauten heute unsere Klamotten auf den Rädern, sodass die Bollerwagen in der Garage bleiben konnten. Auch brauchten wir den Getränke-Stanley nicht zu befüllen, da uns ja heute Timo Unewisse mit seinem Timo's Kaffee Fahrrad begleitete.
Nach und nach kamen viele Helfer zur Garage, um bei den Vorbereitungen zu helfen. Masri hatte uns mehrere Tablets Baklava für die Bedürftigen gespendet und die Mama von Feli ( Felis) hatte extra Brote für uns gebacken und uns süße und herzhafte Brötchen gespendet. Da ich verbaselt habe, sie abzuholen, brachte die liebe Feli sie uns zur Gertrudiskirche. Daaanke!!!
Es wurde wieder viel gelacht. Pünktlich um 18 Uhr konnten wir dann starten. Nadine Sander vom Querschreiber begleitete uns heute auch, da sie einen Artikel über uns schreiben möchte. Als wir
an der Gertrudiskirche eintrafen, war Timo schon fleißig dabei, Kaffee auszuschenken. Eine riesige Menschentraube aus Obdachlosen, Bedürftigen, neugierigen Bürgern, Menschen mit Kameras, Schreiberlingen von diversen Zeitungen und unserem lieben Stephan Lampel von der Quartierliebe hatte sich rund ums Kaffeerad gebildet. Es war ein überwältigender Anblick!
Da es immer wieder regnete, positionierten wir uns wieder unter der Überdachung des Lampengeschäftes gegenüber der Gertrudiskirche. Es war ein großes Gewusel und wir kamen gar nicht hinterher, alle Wünsche zu erfüllen. Ständig wurde ich gerufen, um Fragen zu beantworten und gemeinsam Dinge zu entscheiden.
Dann fiel mir ein junger Mann mit Kapuze auf, der sehr zaghaft nach Hygieneartikeln fragte. Ich schnappte mir Bastian, der sich, wie ich, aufs Streetworken konzentriert, und wir fragten den jungen Mann, ob er Lust habe, sich ein wenig mit uns zu unterhalten. Er hatte nichts dagegen und öffnete sich ziemlich schnell im Gespräch. Er war vor einem Tag aus der Pfalz gekommen und hatte in der Krise übernachtet. Der Grund, warum er zu Hause von der Mutter abgehauen sei, seien immer wiederkehrende Streitereien zwischen seiner Mutter und seiner Freundin. Auf die Frage, wo denn seine Freundin sei, erzählte er uns, dass sie in ihrer Wohnung in Bochum sei. Sie hätte ihm gesagt, dass er morgen nachkommen könne. Da konnte ich nicht anders und redete ihm ins Gewissen. Ich habe ihm gesagt, dass er ein Ei über diese Beziehung schlagen könne! Er haue ihr zuliebe ab und ist jetzt in einer fremden Stadt auf der Straße, während sie gemütlich in ihrer Wohnung hocke?! Bastian und ich haben ihm ins Gewissen geredet, dass er zurück zu seiner Mutter gehen solle. Schließlich ist die Mama der wichtigste Mensch im Leben! Und sie sitze nun zuhause und heule sich vor Sorge um den Jungen die Augen aus dem Kopf!
L. hat mir erzählt, dass er einen Schulabschluss und eine abgeschlossene Ausbildung habe. Ich habe ihm gesagt, dass er schleunigst nach Hause fahren solle und sein Leben in den Griff bekommen müsse. Und ihm vor Augen gehalten, in welchen Sumpf aus Drogen, Einsamkeit, Depressionen, Antriebslosigkeit und Kriminalität er ganz schnell landen könne. Er hörte aufmerksam zu und sagte dann plötzlich: „Ich trinke hier jetzt noch einen Kaffee mit euch und dann fahre ich sofort zu Mama!“ Bastian und ich schauten uns sprachlos an. Spontan umarmte ich L. und sagte ihm, dass es der einzig richtige Weg sei. Dann überlegten wir, was wohl so ein Ticket koste. Bastian meinte, so um die 50 Euro. Eigentlich könne er Schwarzfahren und dann halt nach Erwischen die 60 Euro Strafe zahlen. Das gefiel mir gar nicht. Denn es war für ihn wieder eine Hürde. Die ganze Zeit in der Bahn Angst zu haben, erwischt zu werden, ist auch nicht gerade prickelnd. Also besprach ich mich kurz mit Markus, der mir sofort Geld in die Hand drückte. Bastian und ich machten uns dann mit Nadine und L. auf den Weg zum Hauptbahnhof. Der Plan war, dass wir das Ticket kaufen und L. zum Zug bringen. Ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr mein Herz innerlich vor Freude gehüpft ist. Dass wir durch unser Zureden Schlimmeres bei dem jungen Kerl verhindern konnten.
Leider dauerte dieser Zustand nicht lange an.
Als wir am Bahnhof ankamen, meinte L. plötzlich, dass er doch nicht zur Mutter fahre, sondern zu seiner Schwester nach Kupferdreh. Sie würde dort wohnen und hätte auch ein Auto, sodass sie ihn am nächsten Tag zur Mutter nach Hause fahren könne. Ich traute meinen Ohren nicht! Dann habe ich ihn gefragt, warum er uns jetzt solch einen Bären aufbinden möchte. Das passte ihm gar nicht. Er grummelte sich etwas in den Bart und lief plötzlich los, durch den Bahnhof. Ich wollte hinterher, doch Basti hielt mich zurück. Ich hätte so losheulen können! Bastian sagte, dass er scheinbar tiefgehende psychische Probleme habe, im Zusammenhang mit der Mutter. Wir mussten ihn ziehen lassen. Vielleicht läuft er uns wieder einmal über den Weg.
Die anderen waren inzwischen an der Marktkirche angekommen und machten wie immer einen souveränen Job. An dieser Stelle war nicht so viel los, sodass wir zeitig Richtung Post aufbrachen. Dort wurden auch noch einige Bedürftige versorgt, Neugierige über uns aufgeklärt und im Team viele Gespräche, auch privater Art, geführt.
Man hat leider nicht immer die Zeit, sich den anderen Tourgängern zu widmen und sie mal näher kennenzulernen. Von daher hat es mich sehr gefreut, dass mir Volkan einiges aus seinem Leben erzählt hat.
Auf dem Rückweg kehrten wir noch in der Mayflower ein, um den dort „spielenden“ Menschen die restliche Suppe und Brötchen vorbeizubringen. Schön war es, die Leute aus unserem Trupp zu treffen.
Während die anderen Tourgänger alles in der Garage verstauten und sich verabschiedeten, zogen die beiden Markusse, Volkan, Bastian und ich noch mal los, um Bedürftige an ihren Schlafplätzen zu besuchen und nach dem Rechten zu schauen. Vorsorglich packte ich noch Süßigkeiten in meine Tasche. Was sich als richtig und wichtig herausstellen sollte.
An der ersten Station trafen wir 4 Personen an, die sich sehr über unseren Besuch und die Süßigkeiten freuten. Eine Person brauchte dringend einen Schlafsack, Unterwäsche und Socken und eine weitere Person brauchte eine warme Wolldecke. Markus C und Bastian machten sich direkt auf den Weg zur Garage und holten die dringend benötigten Sachen. Es ist so schön, dass wir die Möglichkeit haben, sofort mit diesen Dingen auszuhelfen. Nach einer netten, kurzen Unterhaltung verabschiedeten wir uns und zogen weiter.
Ein Stückchen weiter, in einem Park unter einer Brücke, lag eine Dame gemütlich im Schlafsack, einen Arm unterm Kopf und in der anderen Hand eine Zigarette, an der sie genüsslich zog. Wir ließen uns nur kurz bestätigen, dass alles in Ordnung sei und wünschten ihr eine gute Nacht, um unsere After-Tour-Tour fortzusetzen.
Die letzte Station war eine Tour durch diverse Parkhäuser mit mehreren Etagen, begleitet von zwei Security-Männern. Denn es ist nicht ganz ungefährlich, da sich dort des Öfteren zwielichtige, gewalttätige Personen aufhalten. Uns war sehr mulmig zumute. Die beiden Herren von der Security gingen leise vor und schauten als erstes hinter die Türen. Überall in den Ecken fanden wir Heroin-Verpackungen, Silberfolie, Injektionsnadeln, Blutspritzer und leider auch Urin-und Kotspuren.
Zum Glück fanden wir niemanden vor. Dachten wir, bis wir plötzlich in einem unteren Parkdeck auf eine uns bekannte, junge OFWlerin stießen. Ganz alleine kauerte sie mit ihrem Rucksack in einer Ecke. Die Securitymänner kannten sie auch und setzten sich zu ihr auf den Boden. Wir waren beeindruckt, wie lieb sie mit ihr gesprochen haben. Sie erklärten ihr, dass sie hier nicht bleiben könne, da sich gruselige, unberechenbare Männer hier herumtreiben. Als wir anboten, sie erst einmal mitzunehmen, bot ihr einer der Herren einen sicheren Schlafplatz an, zu dem er sie begleitete. Vorher erzählte sie uns noch, dass sie hoffe, nächste Woche einen Entzug im Huyssenstift antreten zu können. Stolz erzählte sie, dass sie sich jeden Tag dort von der Bahnhofsmission aus melde. Ihr Vater sei Alkoholiker und ihre Mutter habe sich vor zehn Jahren das Leben genommen. Da war sie gerade mal zehn Jahre alt. Die Großeltern waren mit der Situation überfordert und haben sie in ein Kinderheim gegeben, wo sie mit 18 Jahren auszog. S. hat mir die Telefonnummer der Großeltern gegeben und ich habe ihr versprochen, dass ich mich mit ihnen in Verbindung setze. Bitte drückt ihr die Daumen, dass ich es schaffe, zu vermitteln! Familie ist lebenswichtig! Und sie ist noch so jung.
Auf dem Rückweg zur Mayflower fiel uns bei Burger King noch ein junger Mann auf, der mit Kapuze und Rucksack die ganze Zeit auf die Speisekarte starrte. Vorsichtig sprachen wir ihn an. Er war sehr blass. Und erzählte uns, dass er sich einen Milchshake kaufen wolle und nicht wisse, was er koste. Markus fand es auf der Speisekarte und sagte es ihm. Dann zählte er seine Centstücke in der Hand. Ich gab ihm das passende Geld und sagte, wir würden draußen auf ihn warten. Durch die Scheibe sah ich, dass sich jemand vor ihn stellte. Ich bin dann reingegangen und habe dem Mann freundlich gesagt, dass der junge Herr zuerst da stand. Er wollte mit mir diskutieren, als ich ihm signalisierte, dass es dem Herrn nicht gut gehe und er lediglich einen Milchshake kaufen wolle, den er gerade dringend brauche. Das hatte er dann wohl verstanden!
D. nahmen wir mit zur Mayflower und packten ihm dort noch Brötchen, Baklava und einen Schlafsack ein. Die anderen spielten immer noch.
Markus, Bastian, Volkan und ich gingen mit D. zur Garage, um ihm noch eine Isomatte zu geben. Volkan fuhr mit seinem Fahrrad nach Hause, ich mit meinem Auto und Bastian und Markus brachten noch zwei Wolldecken zu Bedürftigen, um dann auch den Nachhauseweg anzutreten. Da ich mir irgendwie das Knie verdreht hatte und gar nicht mehr auftreten konnte vor Schmerzen, war ich heilfroh, um 2 Uhr am Sonntagmorgen in mein Bettchen zu fallen. Ich lag noch sehr lange wach und habe an all die jungen Menschen auf der Straße gedacht. Es wäre so schön, wenn wir S. helfen könnten, die Kurve in ein geregeltes, normales Leben zu bekommen, mit der Liebe der Großeltern!
Ihr seht, egal, wann und wo wir durch die Stadt gehen, es gibt immer und zu jeder Zeit Menschen, die jetzt gerade Hilfe brauchen! Sei es ein Schlafsack, ein Schokoriegel oder ein Gespräch!
Vielen Dank auch für das am Kaffeefahrrad für uns gespendete Geld.
Bis bald
Petra